Chronischer Schmerz
Als chronisch bezeichnet man Schmerzen, wenn diese seit mehr als 3 Monaten andauernd oder wiederkehrend auftreten. Sie können zu erheblichen seelischen Belastungen führen und die Lebensqualität einschränken. Da der Schmerz ja nicht sichtbar ist, zeigen Außenstehende oft wenig Verständnis, was die Schmerzpatienten zusätzlich belastet.
Was ist Schmerz?
Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das zum Leben gehört und als Frühwarnsystem, dem sog. akuten Schmerz biologisch sinnvoll ist und uns vor Schäden schützen soll (z.B. Zahnschmerzen, Knochenbrüche, Sonnenbrand, Prellungen, Schnittverletzungen, Muskelverspannungen, Entzündungen, Tumore usw.). Jeder Einzelne reagiert darauf subjektiv, denn wir alle machen im Laufe unseres Lebens andere schmerzhafte Erfahrungen und gehen mit solchen Empfindungen entsprechend anders um. Was dem einen erträglich erscheint, bedeutet für andere eine nicht auszuhaltende Beeinträchtigung und Belastung.
Akute Schmerzen verschwinden in der Regel, wenn der Schaden beseitigt und repariert ist – anders als beim chronischen Schmerz.
Was ist chronischer Schmerz?
Das sind Schmerzen, die unregelmäßig (z.B. Migräneanfälle) oder regelmäßig (z.B. Trigeminusneuralgie ausgelöst durch Kauen) für gewisse Zeit wieder auftreten oder täglich bis dauerhaft vorhanden sind (z.B. Spannungskopfschmerzen oder Rückenschmerzen). Solche Dauerschmerzen haben ihren Sinn als Warnfunktion verloren.
In Deutschland leben rund dreizehn Millionen Menschen, die unter chronischen Schmerzen leiden: viele chronische Krankheiten können Schmerzen verursachen (z.B. „Rheuma“, Zuckerkrankheit, Krebs), aber auch der Schmerz selbst kann zu einer eigenständigen Krankheit werden, obwohl der schädliche Reiz lange abgeklungen ist oder nie vorhanden war. Hierbei spielen seelische, soziale und genetische Faktoren eine Rolle, die Fähigkeit zur Stress- und Problembewältigung, familiäres und berufliches Umfeld, Lebensführung und individuelles Schmerzgedächtnis. Auch Depressionen sowie das sog. Angstvermeidungsverhalten und Katastrophisieren führen zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung oder dem Erleben von körperlichen Empfindungen als Schmerz. Sog. Durchhaltestrategien und die unzureichende Akzeptanz gegenüber krankheits- oder altersbedingten Veränderungen und Einschränkungen verschlimmern das Schmerzerleben. Das Erkennen dieser Faktoren und die Einflussnahme darauf sind Teil der Therapie, man spricht vom sog. biopsychosozialen Schmerzmodell.
Wie erkennt man chronischen Schmerz?
Es gibt typische Zeichen, die darauf hinweisen, dass Schmerzen chronisch werden – man spricht vom sog. Chronifizierungsprozess. Beschwerden, die zunächst eher selten auftraten, kehren mit der Zeit immer häufiger wieder und halten auch immer länger an. Neben diesem zeitlichen Merkmal gibt es auch ein räumliches: Schmerzen breiten sich im Zuge der Chronifizierung häufig auf benachbarte Körperregionen aus.
Viele Schmerzpatienten leiden unter Lust- und Antriebslosigkeit, sind hoffnungslos, verzweifelt, erleben Angst und Traurigkeit, empfinden sich in ihrem Selbstwertgefühl gekränkt, fühlen sich erschöpft.
Solche psychischen Symptome sind ebenso Warnzeichen für eine Chronifizierung wie allgemeine, unspezifische körperliche Beschwerden, etwa Darmprobleme (Durchfall/Verstopfung), Reizblase, Schwitzen, Schwindel, Atemnot, Herzklopfen, Müdigkeit, Schlafschwierigkeiten.
Vor jeder Behandlung steht die Diagnose. Für den Arzt ist es dabei besonders wichtig, zu erkennen, wie stark die Schmerzerkrankung bei einem Patienten ausgeprägt ist.
Um dies herauszufinden muss er ihn ausführlich befragen. Die Patienten selbst bereiten sich auf diese Befragung vor, indem sie vorab einen Schmerz-Fragebogen ausfüllen. Ein sorgfältig ausgefüllter Fragebogen reicht in vielen Fällen bereits aus, um eine erste Diagnose zu treffen: in welchem Chronifizierungsstadium befindet sich der Patient? Leidet er unter Depressionen oder Angststörungen oder chronischen Erkrankungen? Ist seine Lebensqualität eingeschränkt? Welche Schmerzart liegt vor? Gab es schon Therapieansätze? Medikamente, die geholfen haben oder dauerhaft eingenommen werden oder nicht vertragen wurden? Wie ist die biografische, soziale und berufliche Lebenssituation?
Die Befragung des Patienten und Sichtung der Vorbefunde sowie weitere Untersuchungen verschaffen den Ärzten die notwendige Grundlage für einen multidimensionalen Therapieplan. Dieser legt fest, wie das Behandlungsteam vorgehen wird. Dazu gehört die notwendige medizinische, das heißt somatische Behandlung, ebenso aber auch die Betreuung durch Psychologen, Krankengymnasten oder Verhaltenstherapeuten.
Auf der Basis einer planmäßig erhobenen Diagnose kann eine chronische Schmerzerkrankung und deren Ursachen gezielt behandelt werden. Jedoch zeigt die Erfahrung, dass Behandlungserfolge nur mit Geduld und über einen längeren Zeitraum hinweg zu erzielen sind. Je mehr die Chronifizierung der Schmerzerkrankung fortgeschritten ist, desto schwieriger und langwieriger ist die Behandlung.
Wie wird chronischer Schmerz behandelt?
Die Vielschichtigkeit der Schmerzerkrankung verlangt meist eine langwierige und komplexe, fachübergreifende Therapie, man spricht von multimodaler Schmerztherapie. Verschiedene Verfahren werden individuell und angepasst an die Schmerzart kombiniert:
Aufklärung über die Schmerzerkrankung, Medikamente, physikalische Therapie, Bewegungstherapie, Psycho- und Verhaltenstherapie, Schmerz- und Stressbewältigungstraining, Entspannungsverfahren, Neuraltherapie, Akupunktur, Osteopathie, Chirotherapie, Nervenstimulation, Nervenblockaden etc.
Das Zusammenwirken vieler „Therapiebausteine“ hilft dem Patienten dabei, den Schmerz immer besser selbst zu bewältigen, die körperliche und soziale Aktivität wiederzugewinnen und den Schmerz letztendlich eigenverantwortlich unter Kontrolle zu bekommen. Ablenkung durch Aktivität und Eigeninitiative sind sehr wichtige Verhaltensstrategien gegen den Schmerz, Schonverhalten dagegen verschlimmert die Schmerzerkrankung.
Was sind die wichtigsten Therapieziele?
► Die Patienten sollen lernen, mit verschiedenen Strategien die Schmerzen weniger intensiv wahrzunehmen und sich weniger hilflos gegenüber den Schmerzen zu fühlen.
► Die Patienten sollen sich trotz verbleibender oder gelegentlich auftretender Schmerzen weniger eingeschränkt fühlen.
► Verbesserung der Belastbarkeit, damit die Patienten wieder aktiv am Sozial-, Familien- und Berufsleben teilnehmen können.
► Hauptziel ist die Zunahme der Lebensqualität, auch wenn Schmerzen verbleiben.